Das Ernährungsproblem
von Dr. med. Friedrich P. Graf
Ernährungsfragen werden häufig wie Glaubensbekenntnisse behandelt,
getreu dem bekannten Spruch eines deutschen Schriftstellers: "Sage mir was Du
ißt, und ich sage Dir, wer Du bist!" Im Gegenextrem wird heute, wie z.B.
durch die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsfragen die Nahrung
nach biochemischen und physikalischen meß- und wägbaren Aspekten
differenziert, unter gröbster Mißachtung qualitativer biologischer
Bedingtheiten. Dabei geht es im wesentlichen um eine Besinnung über die
beiden Begriffe: Nahrungsmittel und Lebensmittel. Mit
Nahrungsmittel werden alle notwendigen Substanzen zusammengefaßt, die
für die Existenz eines Menschen erforderlich sind, wie z.B. unter den
Bedingungen einer künstlichen Ernährung. Grob vereinfacht geht es um
die mechanistische Sicht, was der Mensch braucht, wie ein Motor zum Laufen Öl
und Benzin. Es spielt dabei keine Rolle, wie die Herstellung und Konservierung
aussieht. Bei Lebensmitteln stellen wir darüber hinaus die biologische
Wertigkeit in das Zentrum der Beurteilung unserer Ernährung. Denn was
der Mensch aufnimmt bei Hunger und Durst, ist seit jeher Bestandteil unserer
belebten Umwelt. Wenn wir uns dieser Ursprünge besinnen, so sah oder
sieht die Ernährung folgendermaßen aus: Zunächst die Muttermilch,
dann nach 6 Monaten ergänzt durch Obstsäfte, Obst, Gemüse und
vervollständigt durch Reis, Korn oder Kartoffeln. Bereichert wird der
Geschmack durch Salz und Kräuter bzw. getrocknete Pflanzenteile
als Gewürze. Durch Haustierhaltung kommen hinzu Eier, Milch, Milchprodukte,
wie Sauermilch und Käse, sowie als seltene Besonderheiten zu festlichen
Anlässen Fleisch, Fleischprodukte und Fisch.
Das Leben in den vier Jahreszeiten zwingt zur Konservierung/Haltbarmachung im
Sinne einer gleichmäßigen Verteilung über das Jahr. Hier
fangen nun die gesundheitlichen Probleme unserer Ernährung an. Je nach
Intensität der Behandlung wandelt sich das "Lebensmittel" zum
"absterbenden" Nahrungsmittel, das zuletzt nur noch der chemischen Analyse
standhält.
Der Mensch verfügt über Sinnesorgane, mit denen das reine
Nahrungsbedürfnis moduliert wird. Wer kennt nicht die "Lust am Essen",
den guten Geruch, der den Appetit und den Speichelfluß anregt, oder
"das Auge ißt mit", was die optische Zubereitung und die farbliche
Komposition angeht. Man trifft sich zu einem besonderen gesellschaftlichen
Anlaß, zu einem besonderen (Fest-)Essen und der Mensch erlebt
"Gaumenfreuden", mit denen das feine Zerfließen von Speis und Trank
über die ("Gourmet"-)Zunge gemeint sind. "Essen" ist eben mehr als
die einfache Hungersättigung (Einschub: hier ist die Wohlstandslage
der 1. Welt angesprochen!). Wer schafft braucht Kraft und die gewinnt
er aus besonders gehaltvoller Nahrung. Wer viel sitzt und überwiegend
geistig arbeitet, darf sich nicht mit zu schwerem Essen belasten. Ein
Ausdauersportler wird wieder ganz andere Bedürfnisse bezüglich
Essen und Trinken aufweisen. Ganz unbedeutend bezüglich qualitativer
Unterschiede wird die Speisenaufnahme, für den psychisch Kranken,
den verzweifelten, frustrierten oder depressiven Menschen. In diese
Richtung haben sich die qualitativen Fragen unserer Ernährung
heute in der modernen Industriegesellschaft mit ihren Ballungszentren,
Bürosilos, Verkehrsbelastungen und Medienkultur verdunkelt.
Durch Tabak, Alkohol, Kaffee, Streß und Schlafmangel verändern
sich auch die einzelnen Wahrnehmungsmöglichkeiten von einzelnen
Produkten für den Einzelnen bezüglich ihrer Genießbarkeit
und gesundheitlichen Relevanz. Es wird dem Konsumenten nur noch schwerlich
gelingen zu prüfen, ob eine Kartoffel zu Konservierungszwecken nuklear
bestrahlt ist, oder ob die genetisch manipulierte Tomate im Freiland oder im
Treibhaus zu gleich welcher Jahreszeit großgezogen wurde.
Ein besonderes Problem heutiger Ernährungsfragen ist die Verfeinerung
der Nahrung, die Zufuhr von Nahrungsstoffen wie Süßwaren,
Weißmehlprodukten oder Fertigmenüs. Der Wohlstand erlaubt die
Beschaffung der Speisen nach Lust und Laune. So wird heute zuviel Eiweiß
aufgenommen als Fleisch, Wurst, Eier und Milch. Weiterhin über Wurst- und
Backwaren zu viele ungünstige ("gesättigte" Fette (Fettsäuren).
In Kombination mit der modernen Lebensweise (zuviel Genußmittel, Drogen,
zu wenig Bewegung, psychischer Streß!) wachsen zwingenderweise die
typischen ernährungsbedingten Krankheiten.
Verschärft wird die gesundheitliche Bedrohung durch Schadstoffbelastung
über:
- Düngemethoden (bes. Nitrate)
- Schädlingsbekämpfung
(Fungizide, Pestizide, chlorierte Kohlenwasserstoofe, Schwermetalle, u.a.)
- Umweltbelastungen
(über Luft-/Wasser-/Bodenkontakt und den jeweiligen aktuellen Belastungen)
- Konservierungsmethoden
(Antibiotika, Schwefel, nukleare Bestrahlung, etc.)
- genetische Manipulationen.
Wie sieht nun eine natürliche Ernährung aus?
Zunächst muß festgehalten werden, daß niemand sich den
Schadstoffbelastungen über Luft-/Wasser-/Bodenkontakt entziehen
kann. Die Tatsache z.B., daß sich in der Muttermilch Dioxine bzw.
chlorierte Kohlenwasserstoffe anreichern und den Säugling belasten,
sollte zu einer politischen (Dauer-)Anklage der Verantwortlichen führen,
jedoch niemals die so lebensnotwendige Stillbeziehung beenden. Desnn je
mehr der Mensch an Umweltbelastungen zu ertragen hat, desto bedeutsamer
werden seine individuellen Abwehrfähigkeiten, und die
werden am besten durch das Stillen aufgebaut (Nestschutz!).
Daher für den Sägling:
Vollstillen 6 Monate einschließlich, dann beginnend mit
Obstsäften den Löffel einführen, zermustes Obst
(z.B. Apfel), dann gedünstetes Gemüse (z.B. Karotten)
ergänzen und schließlich Reis, Korn oder Kartoffeln als
Basisernährung zuführen. Mit Entwicklung der Zähne soll
Kauarbeite geleistet werden, d.h. zuführen von Rohkost, festen
Früchten und Vollkorn.
Einige Grundsätze für die Ernährung:
- Vegetarier leben eindeutig gesünder und länger!
- Bezüglich der Ernährung immer die Lebendigkeit
beurteilen und bevorzugen.
- Mit den Jahreszeiten leben. Früchte und Obst zu seiner
Zeit verzehren, Verzicht in anderen Jahreszeiten.
- Die Nahrung bevorzugen, die um uns herum gepflanzt und geerntet
wurde (weite Transportwege erfordern eine entsprechende Vorbehandlung
der Lebensmittel, Anbauprüfung der Erzeuger, Beurteilung
des Umgangs mit dem Produkt.
- Die Lebensmittel möglichst in ihrer ursprünglichsten
Form verzehren.
- Aus der Ernährung kein Dogma machen und mit
Widersprüchen leben lernen.
- Jeder Vegetarier sollte auch (selten) Fleischmahlzeiten tolerieren,
wenn er danach Lust und Verlangen empfindet.
- Speisenbedürfnisse ernstnehmen und befriedigen, soweit sie nicht
psychopathisch bedingt sind (wie z.B. das Süßverlangen bei
Streß).
- Die ganzheitliche Bedeutung von Essen und Trinken berücksichtigen,
d.h. das Essen als Familientreff, als freudiges Gesellschaftsereignis, als
Zeremonie, als Lohn der Arbeit, als eine biologische Regelmäßigkeit
oder als Gelegenheit für Phantasie und Kreativität verstehen lernen.
- Zum Essen sich Zeit lassen!
(in der Zubereitung langsames Garen, Frisches gründlich spülen, die
Nahrung gründlich kauen, langsames Essen, Erholungsphase nach dem Essen
einplanen und zulassen! Hier lassen sich viele Grundfehler der heutigen
Ernährung überblicken: entscheidend der Zeitmangel (keine
Zeit zum gezielten Einkauf, Bequemlichkeit überall, technische
Apparaturen von zweifelhaftem Wert für bedenkliche Nahrungsmittel
(z.B. Tiefkühlkost und Mikrowelle, Fertigmenüs). Der Unterschied
zwischen Lebensmittel und Nahrungsmittel versteht sich hier wie aktiv
gegen passiv und abhängig.
- Unbedingt die Abwechslung im Speisenplan (entsprechend
dem Angebot!) berücksichtigen.
- Das Milchproblem!
Kuhmilch ist Muttermilch für Kälber und entsprechend ist seine
Zusammensetzung ungeeignet für den Menschen (im Vergleich zur
menschlichen Muttermilch enthält die Kuhmilch zuviel Eiweiß,
zuviel Salze, zuviel Phosphor und wird zu sehr bearbeitet).
Grundsätzlich Milch niemals dem Kind/Erwachsenen aufdrängen.
Milch nicht als Getränk betrachten, niemals zum Trinken geben!
Tolerabel sind Milchbeigaben z.B. zum Müsli, zu Breien oder alle
Sauermilchprodukte, da diese nie getrunken, sondern gekaut werden und durch
Kulturen das Darmmilieu günstiger stützen. Milchprodukte wie
Quark und Käse sind wertvolle Lebensmittel, wenn sie frisch
verzehrt oder schonend behandelt werden!
- Zu einer gesunden Ernährung gehört ein den Tagesbelastungen
angemessener Zeitplan der Mahlzeiten: Grundsätzlich anstreben,
morgens das Meiste und Schwerste verzehren, mittags ergänzen und
abends möglichst am wenigsten und das Leichteste zu sich nehmen
(schlaffördernd). Früchte oder Nüsse sind geeignete
Zwischenmahlzeiten.
- Das idealste Getränk ist frisches Quellwasser. Dieses
läßt sich heute einfach als Mineralswasser in Flaschen
beziehen. Gutes und genießbares Wasser wird in Zukunft zum
wertvollen Gut, da ein ernster Mangel heute absehbar ist.
- Zur Ernährung gehört das Fasten zur
geeigneten Zeit. Natürlich nachts, bei Fieber und bei großen
körperlichen und geistigen Leistungen. Fasten ist keine geeignete Methode
zur Gewichtsregulation, aber sehr günstig zur Förderung der
Willenskraft, zur Stoffwechselbereinigung und als unterstützende
Maßnahme zur Behandlung vieler chronischer Krankheiten.
- Ernährung ist nicht "alles", was den Menschen ausmacht. Wenn
dieser Begriff ergänzt wird im ganzheitlichen Sinne, daß auch der
ganz Körper (Bewegungsfreude, Wärme, Lichtbestrahlung,
Frischluft), das Gemüt (Zuwendung, Liebe, Berührung,
Musik, Kunst, Ästhetik) und der Geist (Lesen, Schreiben,
Logik, Spiel, Denken) ihre "Nahrung" benötigen, und alles in
Harmonie kommen muß, dann werden krankhafte stoffliche
Ernährungsformen mit ihren Auswirkungen (Übergewicht,
Rheuma, Arteriosklerose, Karies, Diabetes, etc.) als Ausdruck
chronischer Disharmonie verständlich.
So ist auch die Therapie dieser Krankheiten nie einseitig durch eine
stoffliche Ernährungsumstellung lösbar, aber immerhin
schon ein 1. Schritt zur Änderung.
- Schließlich lehrt das Leben und die Homöopathie, daß
jeder Mensch einzigartig ist und so sind auch alle oben erörterten
Fragen und Antworten als Richtlinien zu verstehen für Individuen
und daß es individuelle Bedürfnisse gibt, die ihr Recht und ihre
Bedeutung haben ja nach Ausprägung und Intensität. Entscheidend
wird der Grad der Bewußt heit und die Authenzität (= daß
der Mensch um seine Bedürfnisse weiß und zu diesen steht!)
Von Friedrich P. Graf ist bei Herder das Buch Ganzheitliches Wohlbefinden
- Homöopathie für Frauen, ein Begleitbuch für die wichtigsten
Lebensphasen, erschienen.
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Last modified: Tue Jul 16, 1996